The Nightmare Before Christmas – Die Wahrheit über Billig(st)instrumente

Neulich flatterte mir bei einem großen Internetauktionshaus ein verlockendes Angebot vor die Nase. Eine kleine Kindergeige für einen unverschämt günstigen Preis – so günstig, dass ich einfach mal auf „kaufen“ klickte. Ich war gespannt, was da wohl in meiner Werkstatt ankommen würde. Denn meckern kann man ja viel über die „Konkurrenz“. Ich wollte den Tatsachen ins Auge sehen. Ich wollte Fakten, die ich euch hier zeigen kann.

Bei diesem Angebot handelte es sich um ein neues, als „teildefekt“ deklariertes Kindergeigenset in 1/8-Größe. Laut Beschreibung fehlte der Steg und es waren Haare (aus „echtem Rosshaar“) am Bogen gerissen. Sonst sollte alles in einem guten Zustand mit „leichten Gebrauchsspuren“ sein. Die Beschreibung versprach ein Set mit „stabilem Formkoffer“, sowie ein Instrument mit Fichtendecke und Boden und Zargen aus Ahorn, außerdem einem „handgeschnitzten Hals aus Holz“. Das Instrument weise eine „gute Bespielbarkeit“ und „solide Verarbeitung“ vor und sei „stimmfest“. Komplettiert wurde dies mit einem Feinstimmsaitenhalter, sowie Griffbrett, Wirbeln und Kinnhalter aus „Hartholz“.

Oh, du fröhliche

Die Geige wurde wirklich sehr schnell geliefert. Ich öffnete das Paket und fand zu meiner Überraschung tatsächlich einen äußerlich stabil wirkenden kleinen Geigenkasten, sogar mit Holzkern – und damit meine ich nicht die Geige im Innern 😉 – der allerdings einen betörend beißenden Chemiegeruch verströmte. Hach, schön. Sogar mit Duft. Wie passend zu Weihnachten.

Innen dann gleich die nächste Überraschung. In mir stieg eine besinnliche Heiligabendstimmung auf. Unter einem silbrig-samtenen Schondeckchen glänzte mir eine rot-orange… Sperrholzdecke entgegen. Ihr erinnert euch? „Decke: Fichte(nsperrholz)“. Stand doch da so, oder nicht? Und dann, statt der typischen schwarz-weißen Echtholz Intarsie am Rand, eine in liebevoller Handarbeit und mit großer Sorgfalt aufgemalte „Einlage“. So schön.

 

 

Doch es gab sogar noch eine kleine Überraschung – dieses Mal auch noch in GeschenkPapier verpackt und unter dem Saitenhalter versteckt. (Ja, ist denn schon Ostern?) Ein Steg! Vielleicht. Oder ein angekautes Holzsteak? Na ja… so’n Dings halt…

 

 

Prima, da war ja nun also doch ein „Steg“. Nur noch aufstellen, Saiten spannen, und dann konnten meine Kinder ja eigentlich direkt loslegen mit dem Geige spielen, oder?


Funfacts rund um den Steg

  • Er hält jede der vier Saiten in einem ganz bestimmten Abstand über dem Griffbrett. Die Höhe jedes einzelnen Steges muss deshalb individuell angepasst werden.
  • Damit der Steg richtig stehen kann, die Decke nicht beschädigt wird und er Schwingungen gut übertragen kann, müssen auch die Stegfüße ganz exakt und individuell an die jeweilige Wölbung eines Instruments angepasst werden.
  • Er wird allein durch die Spannung der Saiten in einer aufrechten Position gehalten. (Kein Kleber, Leim o.ä.)
  • Er begrenzt die Länge der schwingenden Saite, wodurch sich die Abstände zwischen den einzelnen Tönen ergeben. (Saitenmensur) Stimmt diese Länge nicht, muss (besonders bei 4/4-Instrumenten) ein geübte*r Spieler*in die Töne neu „suchen“ bzw. spielt tonlich unsauber und ein*e Anfänger*in gewöhnt sich das Spiel falsch an und wird sich später auf einem richtig eingestellten Instrument schwertun.
  • Er hat er einen enormen Einfluss auf den Klang –> Wie in Punkt 2 schon erwähnt, überträgt er die Schwingungen der Saiten auf den Instrumentenkorpus und schwingt in einer Art Kipp-/Wippbewegung mit diesem mit. Hierbei hat auch die Holzart (Ahorn) und Qualität (extrem feinjährig, gleichmäßig, astfrei) einen großen Einfluss. Anhand der Form des Steges (Dicke, Umriss, Ausschnitte, Füße usw.) können feinste Nuancen im Klang beeinflusst und sogar bewusst eingestellt werden. Das erfordert viel Erfahrung, Genauigkeit beim Arbeiten und handwerkliches Geschick.

Ich stellte den Steg in der richtigen Position auf die Decke unter die Saiten, doch Stegkerben für die Saiten (kleiner Vertiefungen im Steg, damit die Saiten da bleiben, wo sie sein sollen) wurden beim Hersteller irgendwie überbewertet. Anpassen der Stegfüße an die Deckenwölbung: ebenso nicht vorhanden. Anpassen der Steghöhe, damit die Saiten nicht zu hoch sind und die Geige überhaupt spielbar ist? Auch nicht so wichtig. Ein Rohling! Ja, man könnte jetzt sagen: „Einem geschenkten Gaul…“ – schließlich war nicht die Rede davon, dass da überhaupt ein Steg dabei sein sollte. Nun gut.

Darum alle stimmet in den Jubelton

Als ich den Steg nachgepasst hatte, fiel mein Blick noch einmal prüfend durch das F-Loch. Ich hatte zuvor schon „aus dem Augenwinkel“ gesehen, dass sich ein Stimmstock in der Geige befand.  Doch bevor ich die Saiten wieder aufzog, wollte ich mir auch diesen doch noch einmal genauer ansehen. (Nicht, dass ich bei diesem Instrument irgendwelche Bedenken gehabt hätte, dass da nicht gewissenhaft gearbeitet worden wäre. Natürlich alles nur aus reiner Routine!)


Funfacts rund um den Stimmstock

  • Er wird auch manchmal „Stimme“ oder „Seele“ genannt.
  • Es handelt sich dabei um eine Fichtenrundhölzchen, dass in der Nähe des Stegefußes auf der Seite der hohen Saiten senkrecht zwischen Decke und Boden geklemmt und so im Innern des Korpus steht.
  • Er erfüllt eine statische Funktion und verhindert, dass durch den Druck der Saiten bzw. des Steges die Decke eindrückt wird.
  • Wie die Füße des Steges, so muss auch die Stimme individuell sowohl in der Länge als auch in der Form der Auflageflächen an den Enden an jede einzelne Innenwölbung eines Instruments ganz genau angepasst werde.
  • Die Stimme klemmt lediglich zwischen Decke und Boden und wird genau wie der Steg nicht geklebt. Klemmt die Stimme zu locker (zu kurz), oder steht sie schief, kann sie umkippen und die Decke kann im schlimmsten Fall Risse bekommen oder einbrechen. Sitzt sie zu stramm (zu lang), kann sie Decke und Boden im Innern durch Druckstellen oder Risse beschädigen.
  • Er überträgt die Schwingungen der Decke auf den Boden und ist das Herzstück des guten Klangs. Je nachdem wo er steht, kann die Klangfarbe und Intensität beeinflusst werden. Deshalb gibt es auch nicht nur „eine“ richtige Position. Sie ergibt sich individuell durch eine Kombination aus der Stimme selbst, dem Instrument, dem Steg, Saiten, Saitenhalter usw., dem Spieler und den klanglichen Wünschen und Ansprüchen.
  • Wie beim Steg erfordert auch das Stimme anpassen und einsetzen (mit einem speziellen Werkzeug namens „Stimmsetzer“) sowie die Klangeinstellung viel Erfahrung, Geschick und Geduld.

 

Und was befand sich nun im Inneren der kleinen Geige? Nun ja.. äh… also… das hier…

 

 

Es sei hiermit lobend zu erwähnen, dass es sich tatsächlich um echtes, sogar sehr feinjähriges Fichtenholz handelt handeln könnte. Was allerdings die Anpassung an die Decken- und Bodenwölbung betrifft… schlichtweg nicht gemacht! Da hatte jemand einfach ein Stück Fichtenstab abgesägt und irgendwie in die Gei… dieses hölzerne Sperrholzkunstwerk gestellt. Also passte ich auch die Stimme nach und stellte sie wieder an eine passable Position.

Alles im Griff?

Als nächstes nahm ich das Griffbrett unter die Lupe. Das Griffbrett war mit einem dicken, seidenmatten, schwarzen Lack überzogen. Hässlich, aber irgendwie muss man ja einem hellbraunen Hartholz den typischen schwarzen Ebenholzlook verleihen, oder es zumindest versuchen und daran eindeutig scheitern. Doch Aussehen ist das eine. Ich persönlich lege da deutlich mehr Wert auf Funktionalität. Also überprüfte ich, ob das Ding wenigsten keine Buckel, sondern eine leichte Höhlung hatte, damit die Saiten beim Schwingen nicht dagegenschlagen und so kein hässliches Schnarrgeräusch erzeugen. Ich legte ein Haarlineal auf das Griffbrett und schaute mir von der Seite an, wie das Licht durch den Spalt dazwischen fiel. Ihr ahnt es vermutlich schon…

 

 

Immerhin nur ein einziger Buckel, der dann allerdings sehr konsequent. Da ich bei diesem Griffbrett jedoch so gar keine Lust hatte, den schwarzen Schmons vom Hartholz zu kratzen, mir dabei mein gerade frisch geschärftes Hobeleisen wieder zu ruinieren, nur um anschließend alles noch einmal schwarz färben zu müssen, schliff ich nur ein paar mal mit Sandpapier darüber. Dieses Teil war leider ein echt hoffnungsloser Fall.

Nächster Schritt: Obersattel.


Funfacts rund um den Obersattel:

  • Er befindet sich, wie der Name vermuten lässt, ganz oben am Instrument, unterhalb von Schnecke und Wirbelkasten in einer rechtwinkligen Kerbe zwischen Hals und Griffbrettoberkante. Er begrenzt somit auch die schwingenden Saitenlänge nach oben hin.
  • Er ist bei modernen Instrumenten im besten Fall aus Ebenholz, kann bei alten Instrumenten aber auch aus Horn, Knochen o.ä., und bei billigen Instrumenten aus einem beliebigen Hartholz sein.
  • Über ihn werden die Saiten vom Wirbelkasten Richtung Steg geführt. Die Rundung des Obersattels gleicht den durch die Konstruktion bedingten „Knick“ dazwischen aus. Die Saiten liegen jeweils in einer Kerbe. Durch die Kerben wird festgelegt, ob die Saiten im oberen Bereich denselben Abstand zueinander haben und ob sie dort in einer angenehmen, aber dennoch nicht zu geringen Höhe (Schepper-/Schnarrgeräusche der Saiten) über das Griffbrett verlaufen.
  • Ein nicht korrekt bearbeiteter Obersattel kann zur Beschädigung der Saiten, zur negativen Beeinflussung des Klanges und sogar zur Unspielbarkeit eines Instruments führen.

So sehen übrigens Stegkerben aus, die gleichmäßig verteilt sind. Nicht. Zudem war der Obersattel viel, also viel, viel zu hoch und überhaupt in der Formgebung sehr „experimentell“.

 

 

Man muss sich vorstellen, wenn ein kleines Kind, das gerade mit dem Geige spielen beginnt, die Saiten herunterdrückt, mit kleinen Fingerchen, deren Muskeln und Sehnen diese Bewegung ja noch nicht gewohnt sind, dann ist das waaahnsinnig anstrengend. Besonders die sehr dünne E-Saite (die am höchsten gestimmte Saite) schneidet sich dann richtig schmerzhaft in die Fingerkuppe. Das macht überhaupt keinen Spaß und kann sogar zu Verletzungen führen.

Also auch noch den Obersattel nacharbeiten.

Halleluja

Ich werde hier den Rest, den ich an Aufwand und Zeit noch in dieses Instrument gesteckt habe, um es überhaupt einmal richtig anspielen zu können, so gut es geht zusammenfassen, denn alles andere würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

 

 

Nachdem ich also auch noch

  • die scharfen Kanten am Griff beseitigt
  • den dicken Lack davon abgetragen und alles glatt geschliffen
  • die Wirbel (aus viel zu weichem Holz) geschmiert
  • die Wirbelenden gekürzt
  • neue Saitenlöcher gebohrt
  • den Saitenhalter richtig angepasst
  • die ganzen losen Haare vom Bogen geschnitten (es rissen danach immer wieder noch welche, die ich wegschneiden musste, bis kaum mehr welche übrig waren)
  • diesen kolophoniert
  • und schließlich die Saiten gespannt hatte,

… konnte ich das Instrument endlich zum ersten Mal (einigermaßen) sachgemäß stimmen. Eine Freude war das allerdings immer noch nicht. Die Wirbel waren so weich, dass ich Angst hatte, sie könnten jeden Moment abbrechen. Und die „Fein“stimmer waren so grob, dass ich mich auch genauso gut mit den Wirbeln abmühen konnte.

Schlussendlich bekam ich dann tatsächlich doch noch so etwas wie Töne aus dem Instrument. Nicht schön, aber „funktional“. Der Aufwand dafür stand jedoch in keinem Verhältnis zum Wert der Geige. Würde nun jemand mit solch einem Instrument in die Werkstatt kommen um es wirklich spielfertig machen zu lassen (was tatsächlich schon vorkam!), müsste auf jeden Fall auch noch ein neuer Steg und neue Saiten einkalkuliert werden. Und am Ende hat man dann doch nur ein handwerklich grottenmäßig schlecht verarbeitetes Sperrholzobjekt, dass man nie wieder für das Geld los wird, das man hineingesteckt hat.

Besinnliche Feiertage wünscht euch

 

Wichtiger Hinweis: Dieser Beitrag kann Spuren von Euphemismen, Ironie und Sarkasmus enthalten. Der Begriff „Geige“ wird hier im freieren Sinne und sehr großzügig verwendet. Ähnlichkeiten mit real existierenden Musikinstrumenten sind rein zufällig und frei erfunden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.